HDI Berater - Ausgabe 01/2021
HDI Berater Frühling 2021 15 14 Künstliche Intelligenz Gesichtserkennung auf dem Vormarsch Weltweit schaffen Parlamente verstärkt die Möglichkeit von Sammelklagen. Damit erhöhen sie das Risiko von Schadensersatz- ansprüchen oder teuren Vergleichen für Unternehmen und deren Management. Sammelklagen nehmen weltweit zu, weil immer mehr Länder derartige Rechtsinstrumente einführen. In den letzten Jahren haben Parlamente verstärkt das Ziel verfolgt, Verbraucher und Aktionäre durch kollektive Rechtsbehelfe zu schützen. Insbesondere in Europa, aber auch in Ländern wie Thailand, Saudi-Arabien und Japan war die Einführung von Sammelklagen zu beobachten. Für international tätige Unternehmen steigt daher das Risiko, in Rechtsstreitigkeiten mit Verbrauchern oder Aktio- nären verwickelt zu werden. Da die Rechtslage sich in vielen Ländern weiter dynamisch entwickelt, wird es für Unternehmen immer schwieriger, das Risiko einzuschätzen, dem sie ausgesetzt sind. Es ist daher wichtig, sich mit den verschiedenen Ansätzen und Treibern von Sammelklagen besser vertraut zu machen. Was sind Sammelklagen? Eine Sammelklage ist eine Klage, die nicht nur dem Kläger Ansprüche verschaffen soll, sondern jeder Person, die in gleicher Weise von dem jeweiligen Sachverhalt betroffen ist. Sammelklagen werden hauptsächlich mit den USA assoziiert. Dort ist es aufgrund des kostspieligen „Discovery“-Verfahrens und hoher Schadenser- satzsummen besonders riskant, Beklagter einer Sammelklage (in den USA „class action“ genannt) zu werden. Aus Verbrauchersicht bieten Sammel- klagen in der Tat zahlreiche Vorteile. Rechts- und Tatsachenfragen werden einheitlich geklärt, ohne dass der Einzelne auf den (vollständigen) Nach- weis einer Verletzung seiner subjektiven Rechte angewiesen ist. Aus politischer Sicht profitieren Verbraucher oftmals von positiven Änderungen der Geschäftspraktiken, die sich als Folge von derartigen Rechtsstreitigkeiten ergeben. Andererseits ist das System der US-Sammelklage nicht ohne Schwächen. Wesentlicher Akteur ist weder das Gruppenmitglied noch der repräsentative Kläger, sondern die Klägeranwälte, welche weitgehend unabhängig vom Mandanten handeln. Die Kläger- anwälte haben ein besonderes (eigenes) finanzielles Interesse an dem Führen von „class actions“, da sie prozentual in Abhängigkeit von der jeweils zugesprochenen Klagesumme vergütet werden. Darüber hinaus werden in den USA zunehmend Klagen eingereicht, in denen den Klägern nur ein geringer oder gar kein tatsächlicher Schaden ent- standen ist und die lediglich darauf abzielen, die beklagten Unternehmen zur Zahlung zu bewegen. Eine wachsende Anzahl von Sammelklagen in den USA betrifft insbesondere Aktiengesellschaften und deren Management. Bei Wertpapierklagen fordern Anleger Schadensersatz wegen Verstoßes gegen die Kapitalmarktvorschriften. Neben US- Unternehmen sind auch internationale Unternehmen häufig von Sammelklagen betroffen. Im Jahr 2010 hob der Oberste Gerichtshof der USA die Hürden für Klagen gegen ausländische Unternehmen in der berühmten Entscheidung Morrison vs. National Australia Bank zwar an. In Morrison entschied das Gericht einstimmig, dass der US Exchange Act keine extraterritoriale Anwendung hat. Wie am Beispiel von Volkswagen zu sehen ist, ist es dennoch möglich, dass US-amerikanische Wertpapiergesetze für ausländische Unternehmen Anwendung finden. Die Entwicklung in Europa Derzeit gibt es in den Mitgliedstaaten der Europä- ischen Union unterschiedliche Ausgestaltungen von Sammelklagen. Anfang 2020 begannen innerhalb der EU-Kommission Verhandlungen über neue einheitliche Regeln für kollektive Rechtsbehelfe. Die Regelungsentwürfe sehen vor, dass Verbraucher- schutzorganisationen das Interesse der Verbraucher geltend machen können. Der Entwurf trägt damit Verbraucherinteressen Rechnung, die durch grenz- überschreitende Skandale wie „Dieselgate“ und Ryanair offenbar wurden. Im Rahmen von Diesel - gate hat Deutschland bereits eine kollektive Rechts- schutzmöglichkeit für Verbraucher eingeführt, die nun zusätzlich zu dem Instrument für Kapital- anleger zur Verfügung steht. Das „Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfest- stellungsklage“ ermöglicht es qualifizierten Ein - richtungen wie Verbraucherschutzverbänden, die Feststellung der Voraussetzungen für das Bestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Fest- stellungsziele) zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer zu beantragen. Die zunehmende weltweite Akzeptanz einer Finan- zierung von Sammelklagen durch eine professionelle Prozessfinanzierungsindustrie dürfte die Zahl kollektiver Maßnahmen weiter erhöhen. Zugleich soll jedoch auch sichergestellt werden, dass diese professionelle Finanzierung nicht dazu führt, unbegründete Forderungen einzuklagen. Die Finan- zierung und Erstattung von Kosten im Rahmen von Sammelklagen wird gerade bei verstärkter Ausbreitung dieses Rechtsinstruments weiterhin ein kontroverses Thema bleiben. Die zunehmende Bedeutung von Sammelklagen stellt nicht nur die betroffenen Unternehmen, sondern auch ihre Haftpflichtversicherer vor große Herausforderungen. Um den Druck zu erhöhen, konzentrieren sich Kläger neben dem Unternehmen selbst auch auf Vorstandsmitglieder. Versicherer können daher auch erhöhten D&O-Ansprüchen ausgesetzt sein. RA Dr. Alexander Djazayeri Guidance – Principles, Products & Legal HDI Global SE Rechtsrisiken von Sammelklagen Ein Kommentar von Dr. Alexander Djazayeri Von der Entsperrung des Smartphones bis zur Einlasskontrolle am Flughafen: Die Verbreitung der Gesichtserkennung als Authentifizierungsmethode nimmt zu. Doch wie funktioniert die smarte Technologie eigentlich? Und welche Rolle kann sie in der Versicherungsbranche spielen? Identifikation vs. Verifikation Wie die bereits etablierte Fingerabdruckerkennung beruht auch Gesichtserkennung auf einem biometrischen Merkmal. Sie nutzt die Einzigar- tigkeit bestimmter körperlicher Eigenschaften zur Verifikation oder Identifikation einer Person. Dabei wird das Gesicht über eine Kamera aufgenommen und mit einem zuvor gespeicherten Referenzbild digital verglichen. Zur Identifikation von Individuen in einer Masse kommt die Technologie heute unter anderem in der Strafverfolgung zum Einsatz. Bei der Verifikation hingegen wird anhand der biometrischen Daten überprüft, ob eine Person wirklich die ist, die sie vorgibt zu sein – ähnlich der Funktionsweise eines Passwortes. Viele verwenden diese Art der Gesichtserkennung bereits täglich, um ihr Smart- phone zu entsperren. Potenzial für die Versicherungsbranche Auch für die Versicherungsbranche wird die Ge- sichtsverifizierung immer interessanter. Nicht nur, um dabei zu helfen, Prozesse der Betrugserkennung zu optimieren, sondern auch, um bestehende analy- tische Lösungen wie Risikobewertungen, Schaden- prognosen oder Kundenprofile zu verbessern. Einige Anwendungsszenarien sind jedoch ethisch umstritten. Ein amerikanischer Softwarehersteller hat beispiels- weise eine auf künstlicher Intelligenz basierende App entwickelt, mit deren Hilfe der Abschluss eines Versicherungsvertrages binnen weniger Minuten erledigt sein soll. Das Prinzip: Anhand eines Selfies ermittelt die Software Alter, Geschlecht und den BMI. Nach Beantwortung weniger simpler Fragen bekommt der Kunde dann so schnell wie möglich ein Angebot über die gewünschte Versicherung. Besonders für den Abschluss einer Gesundheits- oder Lebensversicherung könnte die Technologie künftig eine wichtige Rolle spielen. Die App wird derzeit in Asien getestet. Eine An- passung an den europäischen Markt ist denkbar. Gesichtserkennung geht aber noch weiter: Ein chinesisches Versicherungsunternehmen setzt die Technologie sogar ein, um den Wahrheitsgehalt von Kundenaussagen zu analysieren. Wie ein Lügendetektor wertet eine Software während einer Videokonferenz die Antworten der Kunden aus und scannt zur Bewertung der Glaubwür- digkeit Mikroexpressionen. Unbewusste, für das bloße Auge kaum wahrnehmbare Gesichtsver- änderungen, wie das Heben einer Augenbraue, werden dann genutzt, um die wahren Emotionen zu entschlüsseln. Die smarte Technologie ist ohne Zweifel beein- druckend. Besonders Datenschützer betrachten die Gesichtserkennung aber auch mit Sorge und sehen das Recht auf Privatsphäre gefährdet. Kritiker weisen zudem darauf hin, dass die Technologie fehler- anfällig ist und zum Beispiel bei dunkelhäutigen Personen schlecht funktioniert. Die Diskussionen führten zuletzt dazu, dass sich sogar große Technologiefirmen wie IBM, die maßgeblich an der Weiterentwicklung entsprechender Lösungen beteiligt waren, aus dem Geschäft zurückzogen. Ob und in welcher Form die Gesichtserkennung in der Versicherungsbranche eine Zukunft hat, hängt auch von der Entwicklung einheitlicher Standards ab. Hinsichtlich Datenschutz, Privatsphäre und ethischer Vertretbarkeit sind derzeit noch viele Fragen offen.
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